1. Das Augusterlebnis

1914 war das Jahr des „Augusterlebnisses“. Alle hatten das Augusterlebnis, jedenfalls, fast alle in allen kriegstüchtigen europäischen Länder, als handele es sich um eine Pandemie.

Anna Susanna

Anna-Susanna als Kleinkind, col. Foto, 1915

‚Augusterlebnis‘ ist eine deutsche Wort-Schöpfung und bezieht sich aufs deutsche Volk – und schon während man das sagt, muß man sich fragen, ob es dieses deutsche Volk je gegeben hat. Wären da nicht die einsilbigen Stickereien, die Susanne und ich oftmals ergriffen bewunderten, die ernsten Volkslieder, der verschwiegene Walter von der Vogelweide „du bist min und ich bin din …..“, die murmelnden Märchen, gäbe es all diese Schätze nicht, müßte man womöglich sagen: Das Augusterlebnis führt ein irgendwie erfundenes Volk vor, das sich plötzlich in seltsam hochgetunter Sprache, in einem berauschten Patriotismus als eine Volksgemeinschaft“, verrannt wie eine donnernde Rinderherde,mit dem „Zarathustra im Tornister“ in die Schlacht stürzte, dabei alles, was es bisher auseinandertrieb, alle landesfürstlichen, kleinstaatlichen, klassen- standes- oder gendermäßigen, konfessionellen, kulturellen, intellektuellen, parteilichen Differenzen von sich werfend, um, unsinnig und stumpfsinnig geopfert von seinen Führern, im giftigen Dreck der Schützengräben eines maßlosen Stellungskrieges zu verrecken, („Im Westen nichts Neues“), oder auf immer zu vergehen, zu verschwinden in dem schwarzen Loch der sogenannten „vergessenen Front im Osten”. Das läßt ahnen – das Augusterlebnis war ein Nahtoderlebnis. 17 Millionen Menschen werden begeistert in den Tod ziehen. Es ist der Erste Weltkrieg. Es ist das Jahr der Geburt von Susanne Kandt-Horn.

Das „Augusterlebnis“ wird von den meisten namhaften Historikern unserer Tage als kulturelle Inszenierung gewertet. Diese war vernichtend. Anna Susannas (SKH‘s) Geburt war weder inszeniert, noch vernichtend. Eher könnte man sagen, sie lief auf eine Kernfusion hinaus. Die zwei Atomkerne, die verschmolzen werden sollten, die zwei Atomkerne, an deren Verschmelzung das ganze 20. Jahrhundert auf allen Erdteilen arbeitete, die Fusion dieser beiden, die das 20.Jahrhundert ist – diese beiden kamen aus dem Abendland und waren zum einen der Glaube an einen besseren Menschen und eine bessere Welt und zum anderen die kritische Vernunft, gemacht aus Zweifel, Kritik und Analyse.

SKH „Familie am Meer“ 1973, Öl/Hf, 60 x 121 cm, Kunsthalle Rostock

SKH „Familie am Meer“ 1973, Öl/Hf, 60 x 121 cm, Kunsthalle Rostock