17. Der Buddha

Der Buddha von Falk Horn

Der Buddha von Falk Horn

Zurück zu Hause, sah Hermann im väterlichen Haus auf dem Tisch in der Mitte des grenzenlosen Dämmerns, das den Flur durchschwängerte, eine große goldene Kugel schimmern. Sie lag da, wie aus dem Nichts gesprungen. Bei Licht betrachtet war es ein goldener Buddha in einem rotlackierten streng würfelförmigen Sessel . Der Buddha zeigte ein lachendes Gesicht und es schien Hermann, als ob dieser quasi jauchzend seine babyhaften Arme und Beine ihm entgegen reckte. Hermann wich erschüttert zurück. Schließlich trug er ihn zum Fenster. Er war sehr leicht und es war klar, daß er aus Pappmache gearbeitet war – aber was für eine handwerkliche Spitzenleistung! Wieviel tausend Jahre Kultur steckten in dem vollkommen kugelförmigen goldlackierten Ballonbauch. Seine Oberfläche war so rund und glatt und makellos, ohne Delle oder Pickel oder auch nur die geringste Unebenheit, so absolut kugelig, wie das nur eigentlich der vollkommenste Geometriker aus dem allerreinsten Gold in einem vollkommen störungsfreien Vakuum zu treiben vermochte.

Hermann wußte, daß die Chinesen zum Beschichten mehrere Kilometer aufs Meer hinausfuhren, wo kein Stäubchen die kostbaren Lacke trüben konnten. Er sah vor seinem geistigen Auge die goldene Kugel wie eine Riesenperle auf der türkisen südchinesischen See treiben , welche letztere auf Grund der großen Verdunstung stets einige Meter über dem Grund zu schweben schien. Er sah in der Ferne Palmenufer, chinesische Dschunken und Würdenträger in Sänften, von eiligen Kulis über das fliegende Meer getragen. Er sah einen seidenblauen Himmel und hörte bereits den große Gong – das ist der Moment, wo das om mani padme hum zu fließen beginnt und man kurz davor ist, hinüberzugehen ins Reich des Buddha, um sich in der süßen Seligkeit des Nichts auf immer zu verlieren, aber da fiel sein Auge auf ein kleines blaßblaues Kuvert aus edlem Papier mit feiner, aber energischer Sütterlin-Beschriftung: Dem tollkühnen Meisterfechter, Besieger der Besten, „bravest oft he braves“, meinem Mörder Hermann Nebe. Letzterer entnahm das beiliegende Schreiben. „Ich lebe noch! Herzliche Grüße aus Kiao-Tschau, wo ich mich während des Boxeraufstands nützlich machen konnte. So brachte ich es zu einigem Wohlstand, aufs beste unterstützt von meiner Frau Gemahlin, der ehrenwerten Tochter des verdienten Generals Li der alten Guomindang. Wir hatten sehr bewegte Zeiten, doch ich bin voller Vertrauen, daß das Land sich nun ordnen und zu einem bedeutenden Handelsplatz entwickeln wird. Durch einen Hieb auf immer verbunden, wofür ich nicht genug danken kann, Ihr allzeit lachender, Schensi v. Samson. [1]

Falk Horn mit Großmutter Irmgard

Falk Horn mit Großmutter Irmgard

Es stellte sich heraus, daß die goldene Kugel, der selige Säugling, der Buddha, auf recht irdischem Weg über die Transsibirskaja innerhalb von 13 Tagen an die Germania in Leipzig gesandt und von dort nach Eisenach verbracht worden war. Der dieser Tage feierlich in Duisburg übergebene Yuxinon, der die deutschen mit den chinesischen Industriezentren verbinden wird, braucht 3 Tage mehr.

Hermann erschütterte die Mitteilung von Schensi von Samson. Wochenlang wurde es ganz still. Keine Trompete. Kein Burgwart auf dem Burgfried. Nichts. Er redelegierte den Buddha mit dem Brief ins nahezu unsichtbare Jenseits des obersten Fachs eines 3 m hohen Raritäten-Schranks im nur zu Feiertagen genutzten ‚guten‘ Zimmer des Vaterhauses, wo er blieb, so lange sein Empfänger lebte.

(Heute döst er, wiederum fast schon im Jenseits auf einem Wandschrank im Wohnzimmer von Anna-Susannas
Sohn Falk in nirwanagleichem Dunkel unter einer holzgetäfelten Decke vor sich hin, bewacht von 2 hohen pappmacheenen chinesischen Würdenträgern mit Augenbrauen aus echt altasiatischem Menschenhaar und einer Schriftstele ungewissen Inhalts für den des Altchinesischen Unkundigen. Dann kam ein Billet, bedeckt mit der großen rundlichen Schrift Irmgards. Dann meldete sich Irmgard einwohnermeldeamtmäßig um nach Kiel am 17.6.1914. Dann kamen unruhige Tage und, einen Monat vor dem berühmtem paneuropäischen Augusterlebnis, die Pässe und die Reise, überwiegend mit der Bahn nach Kopenhagen, die beflissenen Diener des Dienstleistungsunternehmens, die gekauften Trauzeugen, der zombihafte Pfarrer, der „in Gemäßheit des Trauregisters“ freundlich sachlich unterzeichnende Hauptpastor der St. Matthäus-Kirche zu Kopenhagen, T. Levinsen,

SKH: Meine Vorfahren - Engel meiner Kindheit

SKH, “Meine Vorfahren – Die Engel meiner Kindheit“, v.li.o. nach re.u.: Joseph Kürschner, Gustav und Anna Nebe, Hermann Nebe, Emma Kürschner, Susanne Kandt-Horn, geb. Nebe, Irmgard Nebe, geb. Kürschner

der Königliche Vereidigte Dolmetscher und Übersetzer (Skindergade 24), das notdürftige Hotel, die eine Nacht, eingekerkert in dumpfer Spießigkeit, die schrecklichen Ernüchterung Irmgards, die stumme (verzweifelte?) Ohnmacht Hermanns und es war schon Krieg und er im Reservistenstatus. (Es sei erinnert, daß die beiden 1942 noch einmal in Eisenach heirateten.) Nach Kopenhagen war es wieder still. Dann gingen zwei Briefe fast gleich-zeitig quer durch Eisenach. Emma Kürschner an Gustv Nebe: „warum, ach, haben die Kinder nichts gesagt?“ Und D. Gustav Nebe an Emma Kürschner: „Sie wollten wohl nichts sagen.“ Nochmals vergingen 2 Wochen. Anna-Susanna Nebe, genannt Susi, erblickte als 7-Monatskind auf der Turmtreppe der Villa Hohen-hainstein in Eisenach, dem Haus ihres bereits 1902 verstorbenen Großvaters Joseph Kürschner infolge einer Sturzgeburt am 3. Oktober 1914 das Licht der Welt.

Summertime,
And the livin’ is easy
Fish are jumpin’
And the cotton is high

Your daddy’s rich
And your mamma’s good lookin’
So hush little baby
Don’t you cry

One of these mornings
You’re going to rise up singing
Then you’ll spread your wings

And you’ll take to the sky
But till that morning
There’s a’nothing can harm you
With daddy and mamma standing by

Summertime,
And the livin’ is easy
Fish are jumpin’
And the cotton is high

Your daddy’s rich
And your mamma’s good lookin’
So hush little baby
Don’t you cry [2]

Fussnoten

  1. Name leicht verändert mit Rücksicht auf die Nachfahren
  2. Arie aus „Porgy and Bess“ von George Gershwin;die Idee für das Wiegenlied Summertime kam Gershwin im Jahr 1926, als er das ukrainische Wiegenlied Oi Khodyt Son Kolo Vikon (Ой ходить сон, коло вікон; Ein Traum geht am Fenster vorüber, s.Wikipedia