30. Die Malerin I

Susanne hatte wiegesagt das Palmental verlassen und ihre Kinder mitgenommen nach Ückeritz. Eisenach war in Thüringen und Ückeritz auf Usedom an der Ostsee. Zwischen beiden Orten lag in jenen Jahren eine endlose Eisenbahnfahrt mit vielen Umsteigebahnhöfen und meistens überfüllten Zügen, die im Winter zugig und kalt und im Sommer zugig und heiß waren. Es lag zwischen Eisenach und Ückeritz nicht nur die lange Bahnstrecke, sondern auch die bescheidenen finanziellen Verhältnisse der Familie. Für den Hausbau hatte das junge Paar Kredite aufgenommen. Es wurde an allem gespart. Beide übernahmen viele baugebundene Aufträge und Manfred entwickelte sich zu einem umsichtigen Förderer Susannes, der für das Management und die praktischen und technischen Notwendigkeiten sorgte, bis sich sein Atelier in eine Art Lagerhalle verwandelt hatte, wo es alles gab, was in der Mangelwirtschaft der DDR kaum zu kriegen war.

Dieser Spagat zwischen der eigenen künstlerischen Arbeit und dem praktischen Engagement zu Hause und im VBK DDR auf Republik- und Bezirksebene wird ihn eines Tages zerreißen. Er wird fortan an einer manisch-depressiven Erkrankung leiden, die zeitweise zur großen Herausforderung für alle beteiligten Familienmitglieder werden sollte. Trotz dieser Beeinträchtigung war er Susanne bis zu seinem Tod 1992 ein großartiger Beistand und ein Förderer ihrer Malerei.

Sie war also weggegangen von zu Hause. Sie war 40 Jahre alt und lernte nun jenseits heimischer Störfeuer den kombinierten Bürger- und Meisterblick. Ihre Tochter floh vor dem messenden Blick und nicht mal 5 Mark die Stunde konnten sie verführen, Modell zu sitzen. „Mama, du bist doch meine Mutter. Du darfst mich nicht so angucken.“ „Wie gucke ich dich denn an?“ „Wie der Schlachter das Schwein. Er geht um das Schwein herum und seine Augen messen, ob es schon fett genug ist fürs Schlachten und das Schwein weiß das und schreit und schreit die ganze Zeit.“ „Das ist ja grauenhaft“ war die Antwort und so wurde die Endunterzeichnende aus dem Kopf gemalt. „Sie betreiben Ikonenmalerei“ sagte ein Verbandsfunktionär feindselig zur Malerin und die Kollegen schwiegen.

Das Malen mit den verlängerten Pinseln auf der zudem nachgebenden Leinwand beim Niemeyer lag ihr nicht.
Die geforderte Leichtigkeit, ‚das Unversehene‘ (welch Wort!) versuchte sie anscheinend durch Bewegung zu inaugurieren. Sie fing an, die Bildebene mit über- und gegeneinander strömenden Aktionslinien zu gliedern, sie erzeugte beschwingte Dynamik, indem sie lineare Vektoren einführte, die Tänze, Wendungen und Drehungen in eines Menschen Körper oder in einer Landschaft vollführten.
Als sie mit dieser Art von aktiven Liniaturen langsam aufhörte, war es deutlich geworden, daß die erstrebte Leichtigkeit nicht die Leichtigkeit der 60iger war. Es war nicht die lässige lakonische Leichtigkeit mit den Leinenschuhen und den Hemingway- Mädchen und dem Nachmittag eines Fauns, es war nicht der vibrierende Strand vom Otto Manigk und nicht der lichtdurchschimmerte Garten vom Nino, es war nicht Geschehenlassen, Sinnlichkeit, Sehen und nur Sehen, es war ruhelos, aktiv, zu wollend und fürsorgend, um die lapidare, unerträgliche Leichtigkeit des Seins, ‚den schönen Urmenschen‘ zu feiern. [1]
Doch sie befand sich in den 60ern und die 60ger waren diese Leichtigkeit und der Schöne Urmensch drang auch in die Welt-Abstellkammer namens DDR und lag nackt am Strand oder turnte in Blue Jeans durch die Wälder.

SKH: Mensch im Weltraum

SKH vor ihrem Mosaik „Mensch im Weltraum“ 1956, Oberschule Torgelow

Susanne und Manfred in den 80ern

Susanne und Manfred in den 80ern

SKH: Andrea im grünen Kleide

SKH „Andrea im grünen Kleide“, 1965, Öl/Hf, 60 x 80 cm

Da kam Willi Sitte vorbei, damals noch malender Hoffnungsträger, aber bald schon Rädchen im Spitzenequipment der DDR-Führung und maßgebliche kulturpolitische Stimme der bildenden Kunst in der DDR. Er redete Susanne die Simultanmalerei ein, bzw. ersah in ihren kraftvoll beschwingten Liniaturen die Anlage zum Simultanen. Simultanmalerei betrieb er selber und glaubte offenbar, sie als das non plus ultra einer neuen sozialistischen Kunst den blechernen Platitüdenhelden des sozialistischen Realismus entgegen halten zu können. Er wechselte mit diesem trickreichen Gestaltungsmittel vom Hoffnungsträger, der den Franzosen in den Topf geguckt hatte, zum Fahnenträger der Partei- und Staatsführung. „Die schreckliche Nähe zum eigenen Horizont“ (2), (eine Formulierung David Foster Wallace‘ zum Neuen Realismus, den er empfiehlt), diesen von den Berliner Ästheten zelebrierten Realismus mit seiner ständigen Anwesenheit des Endes und keine Tür nach draußen, verschnitten die offiziösen DDR-Star- und Staatsmaler mit einem altmodischen, fast religiösen Pathos, unsäglichen Raumtiefen und einem rationalen Naturalismus. Willi Sitte, der wie der Teufel zeichnen konnte, bewegte zudem die eingeborene Langsamkeit und Ökonomie dieses Realismus mit seinen Simultanattitüden.

SKH:  „Mrs. Aryanayakam“

SKH: „Mrs. Aryanayakam“, 1958, Öl/LHf.60 x 121 cm

So wurde aus der beklemmenden permanenten Anwesenheit einer Welt ohne draußen und verwirrenden, verirrten Hinweisen auf alte Raumtiefen und simultane Betriebsamkeit die neue Enge, bzw. eine aktivistische Kampagnenkunst, die noch wunderlicher war, als der damals offiziös gefeierte, starr banale Staats-Held, welcher letzterer trotz seines beleidigenden Zustands zutraf, insofern die DDR erstarrte. Jeden Tag ein bißchen mehr. Sie starb einfach, (und war doch mal eine lebendige Idee gewesen), denn das Lebendigsein kommt vom einzelnen Menschen, das ist der mit der komischen schöpferischen Seele, an die zu glauben der dialektische Materialismus sich selbst und allen Nichtmaterialisten strengstens untersagt hatte. (‚Untersagen‘ ist ein verrücktes Wort, nicht?)

Simultan malen ist ein Spiel mit dem Sehen. Wenn du den Arm mittelhoch malst und dann darüber noch mal, denkst du im Falle Willi Sittes: der siegreiche Kranführer schaltet seinen Steuerknüppel rauf und runter und die sozialistische Planwirtschaft boomt únd im Falle Susannes: der sterbende Schwan Maja Plissetzkaja flattert ein letztes mal.

SKH: der Drache

SKH, aus Zyklus „Der Drache“ 1967, Öl/Hf, 50 x 60 cm

Es könnte doch sein, daß das Auge die beiden Arme abstrakt, strukturell, also statisch übereinander, als eine sich doppelnde Wiederholung von länglichen Feldern sieht, aber nein, das Gehirn weiß bereits, was Arme sind und daß sie ihrer Natur nach rauf und runter gehen, so sieht es sie, entsprechend des Sinnzusammenhangs, schalten oder flattern. Das hat etwas mit Denken zu tun oder mit Spinnen, nicht aber mit Malen. Es beleidigt das heilige Sehen. Das Sehen ohne Denken sieht immer zum ersten Mal und wenn es zum hundertsten Mal den Ehemann beim Frühstück sieht – es sieht ihn zum ersten Mal. Und das erste Mal ist immer Gottes, (‚verzeihen Sie den Ausdruck‘, sagte Levinas einst an solcher Stelle). Kommt das Denken, kommt Bekanntes, denn das Denken kann nur Bekanntes denken. [3]Aber die Moderne erschafft gerade die Welt neu und ihre Wahrnehmung wird nun im Falle der Sitte’schen Simultanmalerei zugemüllt mit Bekanntem. [4]

Zum Glück machte Susanne keine Propagandakunst, keine Helden an der Arbeitsfront und keine das Sturmgewehr ziehenden Sodaten an der Mauer, sondern sie malte simultan den Schauspieler Eberhard Esche im Deutschen Theater 1965 bei der historischen subversiv kritischen Aufführung „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz unter der Regie von Benno Besson, die ein Ausrufungszeichen in der Theatergeschichte der DDR wurde oder die Plissetzkaja, die Ballettrevolutionärin vom Bolschoi-Theater, (die unvergeßliche. und immer noch die Welt mit ihrer schönen Anwesenheit, nun bald 90jährig, beglückend). Witterte der Käptn, daß da noch ein zweiter Koch resp. Lehrmeister in der Suppe rührte oder befremdete ihn einfach das, was sie machte, die Ausgewanderte, die von zu Hause Weggelaufene, die Exiliantin, die alles erkunden mußte in den neuen Welten, die sie betrat und alles ausprobieren, weil sie sich überhaupt nicht auskannte und nicht wußte, wohin was führte und vielmals in die Irre lief, was sich aber meistens als äußerst nützlich erweist beim Vertiefen des Verlassens – wie dem auch sei, auf einmal schlug der Käptn ihr bei seinem Unterricht sehr heftig auf den Pinsel. Oder er schlug zu, weil überhaupt nichts vorwärts ging, nicht nur nicht die Malerei, überhaupt nichts, und dabei flog der Pinsel in hohem Bogen durch den Raum und Susanne sprang auf und Niemeyer hatte zwei gebrochene Finger und Manfred eine kaputte Schulter und ein ruiniertes Jackett und der Hocker keine Beine und der Papagei keine Schwanzfedern und der Ölbaum kaum noch Blätter, und die Akteure sahen sich so drei Wochen nicht, was lange war. Dann sah man sich wieder, aber der Unterricht hatte ein Ende und die übermütige Unbefangenheit der ersten Jahre. Aber sie ließ sich nicht beirren und kroch und kroch aus der überschäumenden perlmuttenen Mu-schelschale des familiären deutschen Historismus heraus in die Gegenwart. Sie hatte viel Glück. Der großartige Kreis von Künstlern hatte ihr mehr, als allen Beteiligten bewußt gewesen sein mag, geholfen, ihrem Gehäuse zu entkommen.

ONH: Brief an Manfred Kandt

ONH, Brief an Manfred Kandt 1963, die guten Wünsche beziehen sich auf das Wandbild „Berlin 1912“ von MK

Irgendwie gelang, was wiegesagt gar nicht oft gut geht, sie verließ ihr Elternhaus. Mit dem Moment der Vollendung des Weggehens tat sie das, was die Usedomer Freunde machten, was letztere auszeichnete, und weswegen sie groß und menschlich gefunden wurden und weswegen es eine Ehre war, sie zu treffen – eine Ehre, von der viele zehrten – unbeeindruckt von Ideologien und Moden und fremden Wünschen malten die Usedomer Maler, meistens, wie sie wollten. Es kam also der Tag, da Susanne Kandt-Horn malte, wie sie wollte.

SKH: Freundlicher Morgen

SKH „Freundlicher Morgen“ 1978, – Öl/Hf 50 x 50

Fussnoten

  1. „Unter dem Himmel der Ästhetik ist alles so leicht, so schön, so flüchtig; kommt die Ethik angeschritten, so wird alles hart, kalt und unendlich langweilig.“ Sören Kierkegaard – Philosophische Schriften  
  2. Indische Erziehungsministerin unter Jawaharlal Nehru, „weaving,spinning, cooking“ – das sagte sie unentwegt – das war ihr Bildungsprogramm für die indischen Frauen, um deren Gang in die Selbstständigkeit zu befördern
  3. Wie das Denken dann zum Denken kommt, ist nebenbei bemerkt ganz schön strange
  4. Ein anderes ist es, wenn die Moderne den ewig gestrigen Geheimbund von Denken und Sehen direkt thematisiert, um ihn und seine Machenschaften aufzudecken, oder um sich einen Spaß damit zu machen, wie es einige Futuristen taten, oder, um das Alte neu zu machen, wie es bei Strawalde passiert, wenn er Ingre übermalt, oder um das Sehen zu ergründen, wie es die auch unter Sittes Ägide unerwünschten Jungen Wilden versuchten, die dem Sehen noch vor der Bildsynthese hinterherforschten