6. Der Zweifel

Die Natur der Dinge will es jedoch, (und das wäre nun mal wirklich ein Grund, die Risikobereitschaft der ‚Natur‘ fraglos zu bewundern), daß es, um zur Welt zu kommen, zwei ! Großväter braucht. Im Falle Anna Susannas, war der zweite, obwohl zum Zeitpunkt ihrer Geburt schon mehr unter- als überirdisch, spöttischer Jünger der Aufklärung, Verleger, Lexikograf, (Taschen-Universal-Konversations-Groschen-Lexikon-Kürschner, Literatur-Kürschner, Weltspra-chen-Kürschner, Rechts-Kürschner, Gelehrten-Kürschner, Handlexikon für alle Wissensgebiete, Herausgeber der ‚Deutschen Nationalliteratur‘ im Taschenformat usw. usw.) Schriftsteller, Kulturmanager und Entwickler sozialer Wohltaten und Ziele, als da wären: für Niedriglohnempfänger bezahlbare Literatur, eine Schrift-stellerpension oder eine Schriftsteller-Versicherung oder ein Schriftstellerverband, Sammlung vieler seltener Künstler-Nachlässe, darunter des Richard-Wagner-Nachlasses und Begründer eines diesbezüglichen Museums in Eisenach, dieser Wirkliche Geheime Hofrath, Comtur und Ritter hoher Orden, Prof. Joseph Kürschner, Fan Richard Wagners, welcher letzterer bereits 1848, also lange vor Plenge & Co., in revolutionärer Ekstase geschrieben hatte: „Nun wollen wir in Schiffen über das Meer fahren, da und dort ein junges Deutschland gründen. Wir wollen es besser machen als die Spanier, denen die neue Welt ein pfäffisches Schlächterhaus, anders als die Engländer, denen sie ein Krämerkasten wurde. Wir wollen es deutsch und herrlich machen.“, [1] ein Gedanke, der verwirrenderweise seinen getreuen Verehrer, besagten Josef Kürschner, in einem Punkt irritiert haben mußte, lehnte es dieser doch schon als Kind ab, an derartiges, wie: „…wir wollen es besser machen..“ zu glauben. Hatte er Friedrich Nietzsches Theorie von der ewigen Wiederkehr des immer Gleichen gelesen? Josef Kürschner, der unentwegte Arbeiter, wird von einem seiner ältesten Freunde namens Eduard Julius Ludwig Müller, als betonter Skeptiker gezeichnet. Müller, der ihn von Kindheit her kannte, schrieb 1902 in seinem Nachruf für ihn: „…Ohne väterliche Einwirkung bildete er sich frühzeitig eine selbstständige Weltanschauung, die merkwürdigerweise einen pessimistischen Zug hatte. So bekämpfte er z.B. als junger Mensch mit den Waffen des Spottes die Ansicht von der Vorwärtsentwicklung der Menschheit; er bestritt, daß die Bewegung der Kultur aus dem Kreislauf herausträte und eine aufsteigende Linie bilde. Dieser Pessimismus lähmte jedoch keineswegs seine Arbeitsfreudigkeit …“, [2]
weder seine geistige noch seine körperliche, müßte man ergänzen, denn aus den Lenden des buddhaistischen Melancholikers ging die wunderschöne Irmgard hervor. 1888, im Dreikaiserjahr, als van Gogh die Sonnenblumen und die Brücke von Langlois malte und Nietzsche den Antichrist schrieb und das Gesetz wider das Christentum und als mit dem Machtantritt Wilhelm II. alle Hoffnungen auf ein weltoffenes Deutschland erloschen, entsprang dem Schoß der reizvollen Mme. Kürschner, geb. Haarhaus (‚Arroh‘ gesprochen, denn sie war in Paris aufgewachsen), Irmgard, welche ausersehen war, Gustav Freytags Patentochter, Hermanns Ehefrau und Anna Susannas Mutter zu werden.

Joseph Kürschner

Joseph Kürschner

 

Irmgard Kürschner

Irmgard Kürschner

Fussnoten

  1. zit. bei Guido Knop „Das Weltreich der Deutschen“ Piper München 2010
  2. zit. aus: Karl May Briefwechsel mit Josef Kürschner, Bamberg-Radebeul 2013,  S. 607