27. in errore paganorum permanente

Eines Tages klopfte es an der großen Haustür des Nebe-Hauses. Hermann öffnete und der Briefträger stand davor: „Herr Nebe, ich habe hier eine Sendung ..“ und Hermann, dem man am Tag zuvor nach einem Umtrunk mit dem Bürgermeister die goldgeprägte Luxusausgabe des Großen Brockhaus verkauft hatte, sagte sofort „ich nehme nichts“.

Doch der Briefträger erwiderte „Das geht nicht. Wir haben keinen Absender“ dabei blickte er auf einen ungefähr 5-jährigen Jungen an seiner Hand. Der Junge hatte ein Pappschild um den Hals, auf welchem stand ‚An Hermann Nebe Eisenach Palmental‘ und sonst nichts.

Hermanns große Augen rollten zu dem Jungen herüber, lasen den Text, blickten in das ernste Gesicht des Kindes, dann rollten die Augen zurück, dann rollten sie nochmal zu dem Kind, dann machte er eine halbe Drehung nach hinten und brüllte in den dunklen Flur “Lala Imse Bimse Frau zu und von Zitzewitz“ (das waren die Kosneamen von Irmgard), „wir bekommen ein Kind, wir feiern ein Fest!“ und zu dem Kind „wie heißt du?“ „Hermann“ sagte das ernste Kind.

So kam Hermann Klaus Nebe in die Familie Nebe und wurde freudig aufgenommen. Hermann Nebe, sein unehelicher Vater, hatte das Kind von seiner Mutter eingeklagt, aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit dem Erfolg seiner Klage gerechnet.

Klaus Hermann war 1914, also im gleichen schicksalsschweren Jahr wie Susi geboren und wurde ihr Lieblingsbruder. Er hatte Hermanns literarische Passion geerbt und mit 20 einen Roman geschrieben, in welchem er die Anfänge des nationalsozialistischen Arbeitsdienstes schilderte und das Kollektiv über den Einzelnen stellte in einer von faschistischer Ideologie stark infizierten Form, (nämlich die gesunde kraftvolle Gemeinschaft gegen den schwachen, feigen Einzelgänger . [1]

Unmittelbar darauf, arbeitete er bereits als Schriftleiter einer Zeitung und trat der SS bei. Er rechtfertigt diesen Schritt gegenüber seiner offenbar schockierten Schwester in langen Briefen, s.u.. Er ist 21 Jahre alt.

 

Familie Nebe und Kürschner

Familie Nebe und Kürschner im Palemental,Eisenach, unterm Tisch Susi und Klaus Hermann

Anna Susanna, Hermann und Tävi

Anna Susanna re., Bruder Hermann li. u. klein Tävi mi

Susi mt ihren Brüdern

Susi mit ihren Brüdern 1931

Klaus Hermann Nebe Erfurt 26/5/35
Liebe Susi!

Dein Brief hat mich herzlich erfreut. Ich war einmal der Meinung, wir hätten uns beide auseinandergelebt, aber ich muß heute mit Freude feststellen, daß wir doch noch das alte nette Geschwisterverhältnis haben, wie ehedem. Ich denke oft und gern an unsere gemeinsame Kindheit, unsere Schwedenfahrt, Tanzstundenzeit und so weiter. Es ist fein, daß wir uns über gewisse Krisen hinweg, die bei allen Menschen vorkommen können, heute so gut verstehen, obwohl wir doch in vielem so verschieden sind. Ich hoffe, daß wir unseren Plan, die gemeinsame Schwedenreise, auch durchführen können und daß wir uns in vielem helfen werden, besonders, wenn es um Mutti geht. Leider bekommt man ja Mutti nicht aus Eisenach heraus. Ich war Sonntag dort und schlug ihr vor, doch wenigstens in einen kleinen, ruhigen Kurort des Thüringer Waldes zu gehen. Für die Kosten würde ich aufkommen. Aber sie will nicht, schade..

Um Deine weibliche Neugier zu stillen …. Ich bin natürlich mit Almuth zusammen gewesen. Abends waren wir mit Mutti und Papa im Zehnjungfrauen-Spiel. Almuth hat mich dann noch an den Zug gebracht. Sie war wirklich sehr nett. Du brauchst nicht zu befürchten, daß Dein kleiner Bruder enttäuscht wird, im Gegenteil! Hier in Erfurt fehlt mir das Mädchen natürlich. Ich habe mich während meines Urlaubs so stark auf sie eingestellt, daß nun eine gewisse Leere eingetreten ist. Ich fühle mich nicht mehr ganz hier, sondern bin mit meinen Gedanken oft in Eisenach. Das hemmt manchmal ein bißchen. Aber Dein Bruder ist ja kein sentimentaler Knabe, sondern rauh und laut und verbringt lärmend seine Tage unter dem ??? der Umwelt. Bei der Hitze bin ich natürlich faul und gehe oft in eins der vielen Bäder. Aber nun muß ich doch noch etwas sehr Ernstes sagen. Du schreibst, ich sei „Heide“ und denkst, ich wäre gottlos . Das ist ein Irrtum. Ich glaube ganz fest, daß es einen Gott gibt, einen Allmächtigen, einen Urwillen. Aber ich lehne jede Vermittler-Rolle irgendeines Menschen (Papst – Priester – Pfarrer) genau so ab, wie die Behauptung, man könne nur auf einem Wege, durch die Kirche, zu Gott kommen. Man kann nicht den Glauben, das Heiligste und Letzte, in starre Formen pressen, man zerstört ihn dann. Ist man deswegen gläubig, weil man alle Propheten weiß und Glaubensbekenntnisse auswendig auswendig sagen kann oder jeden Tag zweimal (wie die Katholiken es tun) in die Kirche läuft? – Nein, das hat nichts mit Glauben zu tun! Du kennst doch die Pfarrer! (Erich, August usw.) Ich sehe die beiden Kirchen als eine sehr, sehr weltliche Sache an, bei der das Geld eine sehr erhebliche Rolle spielt. Wie viele sind Pastoren bloß des guten Gehaltes wegen!

Und dann die andere Seite. Ich bin SS-Mann. Mein Eid auf den Führer ist mir heilig. Ich werde ihn nie brechen, solange ich noch Ehrgefühl in mir habe. Und wie steht die Kirche zum Führer? Äußerlich sind alle Pastoren die treuesten Nationalsozialisten, aber wenn Du sie näher kennst, dann weißt Du, daß sie unsere geschworenen Gegner sind. Warum? Ganz einfach: Wir wollen einen lebensbejahenden Menschen, der glücklich auf dieser Welt lebt und froh seine schweren Pflichten trägt. Die Kirchen aber wollen die Menschen zum Jenseits erziehen. Angefüllt und demütig sollen sie sich aus dem „Jammertal“ der Erde ins „Paradies“ sehnen. Wie gemein, wenn in der Bibel steht „das Weib ist das Gefäß der Sünde“ und der „Tod der Sünde Sold“! Für uns ist die Frau als Mutter eine hohe Gestalt des Opfertums und der Tod der natürliche Abfluß allen Lebens, hinter dem nicht die Hölle kommt! Das glauben wir nicht. Ich kann es Dir heute Alles nicht so ausführlich schreiben, weil ich keine Zeit habe, aber du kannst überzeugt sein, daß ich nicht leichtfertig „Heide“ geworden bin, sondern nach reiflichen Überlegungen. Aber ich finde, man bekennt sich ehrlich zu seiner Ansicht, bevor man so tut, als wenn man nur Geist sei…. Diese Heuchelei hat in unserer Zeit keinen Platz mehr, wir scheuen uns nicht vor der Kirche und der Welt , zu sagen, was uns bewegt. Das innige Gottgefühl kann man auch haben, wenn man durch eine schöne Landschaft geht, eine wunderbare Musik hört oder ein großes erfüllendes Glück erlebt . Der Glaube liegt im Menschen selbst und er ist das Schönste, was das Leben erst lebenswert macht. Er durchleuchtet den Alltag und in seinem Licht sehen wir erst das Wichtige und das Gute. Niemand darf aber den Glauben zwingen. Es ist ein Verbrechen, wenn man sagt „Du bist ein verlorener Sünder“, wenn Du das und das nicht glaubst“. Und so arbeiten beide Kirchen. Deshalb sind wir solange gegen sie, bis sie sich wandeln. –

Liebe Susi, ich muß schließen. Alles Gute, viel Freude und herzliche Grüße

Dein Bruder Klaus Hermann

Kommentar der Endunterzeichnenden:

Entgegen Klaus Hermanns Auslassungen erlebte gerade das Menschenbild in den 30er Jahren eine belebende Erneuerung durch die in Deutschland aufkommende dialektische Theologie mit Theologen wie Rudolf Bultmann, Karl Barth, Friedrich Gogarthen, die die vollkommene Andersheit Gottes gegenüber dem Menschen betonten, welcher letzterer lernen mußte, mit dieser gewaltigen funkenschlagenden Dialektik in seinem Herzen umzugehen. Es war eine stolze, großartige Theologie, die die Kirche aus ihrer machtpolitischen Verweltlichung herausriß und dementsprechend auch an einer entschiedenen Distanz gegenüber den Nazis arbeitete, (umgesetzt von der Bekennenden Kirche Deutschlands). Niemals war diese Theologie jedoch auch nur in Ansätzen lebens- menschen- oder gar freudefeindlich.)

Klaus Hermann ist ehrgeizig, bewirbt und verpflichtet sich auf 4 1/2 Jahre bei der Luftwaffe. Er will Offizier werden. Im November 35 wird er eingezogen. Ob er sein Ziel erreicht, ob er 39 in Polen dabei ist, oder zurück geht zur Zeitung, weiß die Endunterzeichnende nicht zu sagen. 1941 – er ist 28 Jahre alt – erhält er als Auszeichnung, so erzählt es die Familie, den Auftrag, eine Reportage über ein KZ zu schreiben.

Susi sieht ihren Lieblingsbruder ein letztes Mal, wie er in derangierter Uniform, Spiegel und Taschen abgerissen, mit dem Gesichtsausdruck eines Verzweifelten, grußlos in das Arbeitszimmer seines Vaters stürzt. Nach einer halben Stunde erscheint der Vater im Wohnzimmer und verkündet den dort harrenden Frauen, leichenblass „Deutschland ist verloren.“ Sprach’s und verschwand. Sie sahen Klaus Hermann nicht wieder. Er wurde unmittelbar darauf in eine Strafkompagnie an die Ostfront versetzt. Kurz vor Moskau schrieb er „Deutschland ist ein wahrer Garten Gottes, unvorstellbar schön…“ Wenig später erhielt die Familie die Nachricht von seinem Tod im Feld.

 

Erika Richter,  2012

Erika Richter 2012

Klaus Hermann Nebe hatte jedoch vor seinem Ende, ebenfalls in errore paganorum permanente eine Tochter gezeugt namens Erika.

Diese arbeitete nach dem Studium an der Hochschule für Filmkunst in Babelsberg als Dramaturgin für die DEFA, heiratete den Filmwissenschaftler und späteren Kulturkolumnisten des Neuen Deutschlands, Rolf Richter und wurde die große Filmfrau der DDR, 2003 mit der Berlinale Kamera für ihr Lebenswerk geehrt.

Von 92 – 99 gab sie zudem die kluge, anspruchsvolle Zeitschrift ‚Film und Fernsehen‘ heraus.

 

Fussnoten

  1. „Schippen aufnehmen! Im Gleichschritt marsch!“ Braunschweig 1934